Phage Muddy rettet Leben

Schulen, Wissen

Phagenforschung für Studierende

Lilli Holst hat als Studentin einen Phagen isoliert, der 10 Jahre später in der Therapie eingesetzt wurde

Lilli Holst aus Südafrika nahm als Studentin am SEA-PHAGES-Kurs teil. Dieser wird von US-Universitäten organisiert und soll Studierenden einen Einstieg in die experimentelle Wissenschaft vermitteln. Die Teilnehmer gehen auf Phagensuche und untersuchen die gefundenen Exemplare. Die Phagen werden in eine Phagensammlung aufgenommen.

Im Jahr 2018 wurde ein Mädchen aus Grossbritannien, das an Cystischer Fibrose und in der Folge an einer antibiotikaresistenten Infektion litt, mit dem Phagen Muddy behandelt, den Lilli Holst gefunden hatte. Muddy verbesserte in Kombination mit anderen Phagen den Gesundheitszustand von Isabelle Carnell-Holdaway temporär. Sie starb leider vier Jahre später.

Thomas Häusler hat mit Lilli Holst ein schriftliches Interview geführt.

 Warum haben Sie am SEA-PHAGES-Kurs teilgenommen?

Während meines dritten Studienjahres an der University of KwaZulu-Natal (Durban) sah ich im Newsletter der Uni eine Notiz über den Kurs. Ein kostenloser(!) Kurs, durchgeführt von Forschenden der University of Pittsburgh, der Johns Hopkins University, dem Howard Hughes Medical Institute und dem Albert Einstein College of Medicine, das klang extrem aufregend und ich meldete mich sofort an. Der Kurs war fantastisch und ich erinnere mich sehr gerne an die Kursleiter:innen und Teilnehmer:innen.

Was bringt ein solcher Kurs Studierenden?

Es ist ein wunderbares Programm. Letztendlich ist alles unglaublich wichtig, was das Verständnis der Menschen für die Welt auf praktische Weise erweitert. Dass SEA-PHAGES auch langfristig konkrete Auswirkungen hat, macht es für Studierende umso attraktiver. Ich selbst arbeite seit dem Studium zwar nicht mehr im Labor, aber andere Studierende haben diesen Karriereweg eingeschlagen.

Wie haben sie den Phagen Muddy gefunden?

Muddy entstammt dem Komposthaufen meiner Familie – abgekratzt von einer faulenden Aubergine. Der Kompost war ein lebendiges Ökosystem voller Insekten und anderer tierischer Besucher, darunter Meerkatzen. Mein Vater fütterte den Kompost regelmässig mit Garten- und Küchenabfällen und Hundekot.

Warum der Name Muddy?

Im Kurs hiess es, wir sollten die Phagen wie Haustiere taufen – Namen mit mindestens vier Buchstaben, aber kurz genug, damit sie auf einem Probenröhrchen Platz fanden. Für die meisten Namen nutzte ich Spitznamen und Namenskombinationen von meinen Mitmenschen und Haustieren: Lixy entstand etwa aus Lilli und Roxy (meine Freundin Roxanne, die auch am Kurs teilnahm). Liefie ist die Kombination aus Lilli und Felix (mein Bruder; obwohl Liefie auch ein Ausdruck auf Afrikaans ist, der Liebling bedeutet). Es mag sehr egoistisch erscheinen, dass ich in die Namen meinen eigenen hineinschmuggelte. Zum Glück machte ich das nicht mit allen: Die Vornamen meiner Eltern, Lesley und Helmut ergeben schreckliche Wortkreuzungen, also nutzte ich Mum und Daddy, was Muddy ergibt, was sich angesichts der Herkunft des Phagen richtig anfühlte [Muddy bedeutet schlammig auf Englisch]. Dass Muddy zehn Jahre später – dank der Recherchen von Isabelle Carnell Holdaways Mutter – den Weg aus dem Tiefkühler ins Spital fand, war ein glücklicher Zufall.

Was haben Sie gedacht, als Muddy Isabelle das Leben rettete?

Das kam völlig unerwartet. Wenn ich mich richtig erinnere, sprachen wir im Kurs über die Möglichkeit, dass die Phagen für eine schnellere Diagnose von Tuberkulose benutzt werden könnten. Darum testeten wir die Phagen auf Mycobacterium smegmatis, einem Cousin von Mycobacterium tuberculosis – und von Mycobacterium abscessus, dem Bakterium, das Isabelle infizierte. Ich dachte nie daran, dass die Phagen auch therapeutisch genutzt werden könnten.
Phage Muddy rettete Isabelle anfänglich, sie starb aber 2022, dreieinhalb Jahre nach ihrer ersten Behandlung mit Phagen. Ich kannte Isabelle nicht persönlich – ich denke aber oft an sie: Wie es sein muss, an Cystischer Fibrose zu leiden und im Alter von 15 Jahren eine doppelte Lungentransplantation erdulden zu müssen. Nur, um danach die erste Person zu sein, die mit einer experimentellen Phagentherapie gegen Mykobakterien behandelt wird.
Trotz alldem war sie ein bewundernswerter Teenager: Sie ging zur Schule, machte den Fahrausweis, backte Kuchen, um Geld fürs Tierheim aufzutreiben, und nähte während der Covid-Pandemie Masken für das Pflegepersonal. Ich denke daran, wie sie und ihre Mutter dafür sorgten, dass Phagen mit therapeutischem Potential aus dem Tiefkühler befreit wurden – Phagen, die seither bei anderen Patient:innen eingesetzt worden sind – was ohne Isabelle und ihre Mutter wohl nicht der Fall gewesen wäre.

Was denken sie über Phagentherapie?

Alles muss erforscht werden, was Potenzial hat im Kampf gegen Antibiotikaresistenz.

Kennen Sie andere Menschen, die an antibiotikaresistenten Infektionen leiden?

In Südafrika ist die Situation unter anderem bezüglich resistenter Tuberkulose sehr ernst. Ein Freund meiner Familie musste sich einer Routineoperation an der Schulter unterziehen und kam mit einem hochresistenten Keim aus dem Spital. Aus der infizierten Stelle trat ständig Flüssigkeit, schlussendlich kostete ihn die Infektion das Leben. Anscheinend war das Spital berüchtigt als Schleuder von hochresistenten Keimen.

Wie ernst ist die Situation bezüglich Antibiotikaresistenz in ihren Augen?

Extrem ernst, sie trägt zu Millionen von Todesfällen jedes Jahr bei. Behandlungsmethoden und Medikamente müssen laufend angepasst werden, um mit der Resistenzentwicklung mitzukommen, aber es gelingt nicht.

Mittlerweile gibt es weitere Initiativen wie SEA-PHAGES, unter anderem in Grossbritannien ein Citizen-Science-Programm, um eine Phagensammlung aufzubauen. Was bringen solche Initiativen?

Mir gefällt das ausserordentlich. Phagen zu finden ist einfach und macht Spass – alle können mithelfen. Die Phagen zu untersuchen und die richtigen für eine Behandlung auszuwählen, das ist anspruchsvoll und zeitraubend. Aber sie zu finden, ist der erste notwendige Schritt und wenn man damit mehr Interesse weckt und Geld für die Forschung anzieht, kann dies eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Antibiotikaresistenz spielen. Es gibt noch so viel zu lernen über Phagen.

Lilli Holst arbeitet in einer Kommunikationsfirma.

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