Podium und Filmpremiere
Multidisziplinäre Suche nach Lösungen
Die Premiere des Films «Phagentherapie – die Medizin geht viral» im Berner Kino Rex hat eine lebhafte Diskussion darüber ausgelöst, wie es mit der Phagentherapie in der Schweiz weitergehen könnte. Es debattierten auf dem Podium Christian Van Delden*, der die im Film gezeigte Phagenbehandlung durchgeführt hat, die Antibiotika-Expertin Catherine Plüss-Suard* und der Macher des Films, Thomas Häusler*. Aus dem Publikum beteiligten sich unter anderem Vertreter der Arzneimittelbehörde Swissmedic, der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften und des Round Table Antibiotika Schweiz. Die Journalistin Patricia Michaud leitete die Debatte. Das Forum Genforschung der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz hat die Premiere organisiert und den Film in Auftrag gegeben und finanziert.
Zusammengefasst von Thomas Häusler, Forum Phagentherapie
Neu im Thema? Schauen Sie den Film. Oder nutzen Sie die FAQ, um sich einen Überblick über die Phagentherapie und ihre Situation in der Schweiz zu verschaffen.
Leben retten
dilemma bei chronischen resistenten infektionen
«Wir sehen immer mehr Patienten mit chronischen Lungeninfektionen, die nicht sterbenskrank sind, aber unter einer stark verminderten Lebensqualität leiden», sagte Van Delden. In solchen Fällen dürfen Phagen nicht verwendet werden, obwohl sie möglicherweise den Gesundheitszustand mindestens temporär verbessern könnten. Dies legen die Fallberichte nahe.
Van Delden und sein Team suchen nun nach Lösungen, um diesen Patient:innen helfen zu können. Doch dies sei schwierig, weil klinische Studien komplex und teuer seien. Darum brauche es eine Zusammenarbeit mit Swissmedic, die klinische Studien bewilligt, überwacht und Medikamente zulässt. Vielleicht könne man erst eine kleine Gruppe von zehn Patienten behandeln, um eine Basis für eine grössere Studie zu schaffen.
knackpunkt GMP-Produktion
Ein Vertreter von Swissmedic versicherte, man sei sich dieser Herausforderungen bewusst und offen, Forscher:innen und Mediziner:innen aus akademischen Institutionen, die über weniger Mittel als Firmen verfügten, zu unterstützen, um die Durchführung von klinischen Studien regulatorisch zu ermöglichen. Diese Studien müssten zweifelsfrei nachweisen, dass das getestete Phagenpräparat sicher und wirksam sei.
Medikamente, die einer klinischen Studie eingesetzt werden, müssen nach dem sogenannten GMP-Standard (Good manufacturing practice) hergestellt werden. Die Kosten einer GMP-Produktion sind hoch. Dies führt bei der hochpersonalisierten Phagentherapie, bei der für jede:n Patient:in der passende Phage eingesetzt werden muss, zu hohen Behandlungskosten. Einzelne Phagen sind sehr spezifisch und bekämpfen jeweils nur eine einzelne Bakterienspezies oder meistens sogar nur einige der vielen Varianten, die eine Spezies umfasst (sogenannte Bakterienstämme).
In Belgien, das einen erleichterten Zugang zur Phagentherapie eingeführt hat, müssen die Phagen von einem lizenzierten Labor nach hohen Qualitätsstandards hergestellt werden, nicht aber nach dem GMP-Standard. Dies senkt die Kosten deutlich.
Phagenzentrum romandie
Van Delden sagte, sein Team arbeite nun mit dem Waadtländer Universitätsspital (CHUV) zusammen. Phagenforscher am CHUV haben eine Phagenproduktion nach dem GMP-Standard aufgebaut. Die Genfer Produktion erfüllt diesen bisher nicht. Man wolle zusammen ein Phagenzentrum für die Romandie aufbauen. Wie hoch die Kosten für die GMP-Produktion ausfallen werden, erwähnte van Delden nicht.
Philippe Moreillon, Medizinier, Mikrobiologe und emeritierter Professor der Universität Lausanne, brachte eine weitere Hürde ins Spiel, die wegen der personalisierten Natur der Phagentherapie besteht: Es sei schwierig, klinische Studien zu organisieren, weil man kaum eine genügend grosse Gruppe von Patient:innen mit vergleichbaren Infektionen zusammenbekomme. Um dieses Problem zu lösen, müsse man kreativ vorgehen.
Christian Van Delden pflichtete Moreillon bei. Dieses Problem lasse sich nur lösen, wenn alle Forscher:innen und die wichtigen Zulassungsbehörden wie Swissmedic, EMA in Europa und FDA in den USA zusammenarbeiteten. Die Studien müssten die Personalisierung berücksichtigen, die die Behandlung mit Phagen erfordere. Dies hätten einige Studien, die in den letzten Jahren durchgeführt worden sind, nicht berücksichtigt. Sie seien unter anderem deswegen gescheitert.
von anderen disziplinen lernen
Thomas Häusler vom Forum Phagentherapie berichtete von einem Phagenkongress der Europäischen Gesellschaft für Mikrobiologe und Infektionskrankheiten (ESCMID) im November 2024 in Lyon. In dessen Rahmen erläuterten Statistiker, wie sie bei seltenen Krankheiten klinische Studien durchführten. Auch in diesen Fällen gibt es nur kleine Patientengruppen. Nun werden Verfahren entwickelt, um auch aus kleineren Gruppen und Datenmengen verlässlichere Schlüsse ziehen zu können. Von diesen Ansätzen gelte es für die Phagentherapie zu lernen, sagte Häusler.
Der Vertreter von Swissmedic meinte, zukünftige klinische Phagentherapie-Studien könnten sich auf eine Indikation, also eine bestimmte Infektart konzentrieren sollten. Sei für diese Indikation eine Wirkung nachgewiesen, könne man das Einsatzgebiet erweitern.
Michaela Egli von der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften spann diesen Gedanken fort und regte an, dass sich die Forscher:innengemeinschaft klar werden solle über ihre Vision für die Phagentherapie: Retter in Notfällen oder ein breiter eingesetzter Beitrag zur Bewältigung der Antibiotikaresistenz-Krise? Werde ein breiterer Einsatz angestrebt, sei ein hoher Anspruch an Qualitätsstandards besonders gerechtfertigt. Um diesen erreichen zu können, müsse man sich fragen, ob gegenwärtig die Ressourcen richtig eingesetzt würden. Erhalte die Entwicklung der Phagentherapie mehr Ressourcen, so Egli, könne ein höherer Standard eher erreicht werden.
Christian van Delden stimmte Egli zu: Die Resistenzkrise sei ein grosses Problem und die Phagen könnten einen Beitrag zur Lösung leisten. Dafür brauche es mehr Geld in der akademischen Forschung. Die Tatsache, dass in den letzten Jahren mehrere Phagenfirmen bankrott gegangen seien, zeige die Schwierigkeit auf, die Phagentherapie mit der nötigen Personalisierung und den kleinen Fallzahlen wirtschaftlich erfolgreich zu betreiben.
wie lässt sich nicht nur wenigen helfen?
Thomas Häusler wies daraufhin, der Phagentherapieforscher Jean-Paul Pirnay habe im Film erwähnt, dass es Phagen gegen etwa 30 verschiedene Bakterienarten brauche. Pirnay denke, dass sich nur für die häufigsten zwei bis drei Spezies wie Staphylococcus aureus und Pseudomonas aeruginosa wirtschaftlich erfolgreiche Präparate entwickeln liessen – wenn überhaupt. Es stellt sich die Frage, wie Patient:innen geholfen werden kann, die an anderen Infektionen leiden.
An diesen Punkten setze das Forum Phagentherapie an, sagte Häusler. Man wolle eine Debatte darüber auslösen, wie viel Mittel es für die Forschung brauche und wie man die Methode einem breiteren Kreis an chronisch kranken Patient:innen zugänglich machen könne. Das Forum gehe davon aus, dass dies mehr Menschen betreffe, als man denke: Viele Gründe führten zu chronischen oder lebensgefährlichen Infekten – von Diabetes über infizierte Implantate bis zu immunschwächenden Krebstherapien und genetischen Krankheiten. Diese sehr diverse Gruppe von Patient:innen werde übersehen. Auch dies wolle das Forum Phagentherapie ändern.
Stefan Mühlebach vom Round Table Antibiotika Schweiz begrüsste zum Schluss, dass die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz den Film «Phagentherapie – die Medizin geht viral» finanziert habe, um die Antibiotikaresistenz und die Phagentherapie breiter bekannt zu machen und um eine multidisziplinäre Suche nach Lösungen zu unterstützen.
* Prof. Dr. Christian Van Delden, Hôpitaux Universitaires de Genève (HUG)
* Dr. Catherine Plüss-Suard, Universität Bern und Anresis
* Dr. Thomas Häusler, Forum Phagentherapie
Bild: Andres Jordi

0 Comments